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09.10.25
Digitale Zwillinge: Simulation als Innovationstreiber
Executive Summary: Digitale Zwillinge verbinden reale Produkte, Anlagen und Prozesse mit einem virtuellen Abbild, das sich über den gesamten Lebenszyklus mitentwickelt. In Kombination mit Simulation entstehen belastbare Entscheidungen – vom ersten Entwurf über die virtuelle Inbetriebnahme bis zum Betrieb. Ergebnis: geringere Risiken, schnellere Freigaben, höhere Verfügbarkeit und zielgerichtete Verbesserungen. Für Industrieunternehmen ist der Digital Twin damit ein strategischer Innovationstreiber.
Was Digitale Zwillinge wirklich sind – weit mehr als ein 3D-Modell
Ein Digital Twin ist eine virtuelle Repräsentation eines physischen Objekts oder Prozesses. Er umfasst Geometrie, Material- und Zustandsdaten, Verhaltensmodelle und Simulationsergebnisse. Entscheidendes Merkmal: der kontinuierliche Datenabgleich zwischen realer Welt und virtuellem Modell. Ändert sich etwas am Produkt, an der Linie oder am Einsatzszenario, wird der Digitale Zwilling aktualisiert – und umgekehrt fließen Erkenntnisse aus dem Zwilling zurück in Design, Produktion und Service. So entsteht ein lernendes System, das Entscheidungen nicht nur dokumentiert, sondern aktiv verbessert.
Kerngedanke: Die Kopplung aus Simulation und Live-Daten macht Annahmen explizit, vergleicht Varianten risikolos und zeigt Zielkonflikte früh. Dadurch wird die Qualität der Entscheidungen höher – und die Umsetzung schneller.
Warum Simulation der Hebel ist
Ohne Simulation bleibt der Digitale Zwilling ein statisches Abbild. Erst die Fähigkeit, „Was-wäre-wenn“-Szenarien durchzuspielen, hebt das volle Potenzial. Typische Fragen, die sich mit Digitale Zwillinge + Simulation beantworten lassen:
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Design: Hält das Bauteil unter thermischer und mechanischer Last? Wie reagiert das System auf Toleranzen und Fertigungsstreuungen?
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Produktion: Welche Taktzeit ist realistisch? Wo entstehen Engpässe im Materialfluss? Wie wirken Layout-Änderungen auf Durchsatz und Puffer?
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Betrieb: Wie entwickelt sich der Zustand einer Anlage? Welche Parameter weisen früh auf Abnutzung hin? Welche Wartungsstrategie minimiert Stillstände?
Der Vorteil: Entscheidungen basieren nicht auf Bauchgefühl, sondern auf modellbasierten, wiederholbaren Ergebnissen.
Drei Perspektiven auf Digitale Zwillinge
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Produkt-Zwilling
Abbildung von Geometrie, Material, Funktionen und Simulationsergebnissen (z. B. Struktur, Thermik, Strömung, Elektromagnetik). Nutzen: konstruktive Varianten schneller bewerten, Zielkonflikte erkennen, Stücklisten und Parameter konsistent halten.
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Produktions-Zwilling
Virtuelle Repräsentation von Fertigungszellen, Linien, Logistik und Steuerungen – inklusive Simulation von Takt, Layout, Ressourcen und Steuerungslogik. Nutzen: virtuelle Inbetriebnahme, planbarer Ramp-up, geringere Umbaukosten.
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Performance-Zwilling
Kopplung des Modells mit Felddaten (z. B. Schwingung, Temperatur, Energie, Qualität). Nutzen: Predictive Maintenance, optimierte Betriebsstrategien, faktenbasierte Verbesserungen in Design und Produktion.

Business-Nutzen: Innovationstreiber für Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit
1
Schnellere Entscheidungen
Varianten lassen sich digital evaluieren, bevor teure Hardware entsteht. Das verkürzt Entwicklungs- und Freigabezyklen.
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Höhere Anlageneffizienz
Der Digitale Zwilling deckt Bottlenecks auf, optimiert Rüst- und Einrichtzeiten und stabilisiert Abläufe.
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Geringere Risiken
Änderungen werden virtuell validiert; die Simulation zeigt, welche Nebenwirkungen zu erwarten sind.
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Transparente Qualität
Messdaten und Modellwissen bilden einen lückenlosen Nachweis von Anforderungen bis zum Testergebnis.
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Nachhaltigkeit
Ressourcen- und Energieverbrauch werden quantifiziert; Szenarien weisen den Weg zu CO₂- und Materialeinsparungen.
Architektur-Bausteine für tragfähige Digitale Zwillinge
Ein belastbares Setup folgt drei Schichten:
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Domänenmodelle & Multiphysik-Simulation
Disziplinen wie Struktur, Thermik, Strömung oder EM werden einzeln und gekoppelt modelliert. Dadurch lassen sich realistische Lastfälle und Grenzbedingungen abbilden. -
Datenplattform & Zeitreihen
Zustands- und Ereignisdaten werden sicher erfasst, versioniert und dem Zwilling kontextualisiert zugeordnet (Variante, Losgröße, Lastkollektiv). Nur so bleiben Simulation und Realität synchron. -
Governance & Sicherheit
Rollen, Zugriffsrechte, Zertifikate, Versionierung und Kompatibilität der Zwillingsstände sind definiert. Das verhindert Insellösungen, schützt IP und ermöglicht Auditfähigkeit.
Anwendungsfälle entlang des Lebenszyklus
Konzept & Entwurf
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Varianten vergleichend simulieren (Material, Dimensionierung, Toleranzen)
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Zielgrößen definieren (z. B. Gewicht, Steifigkeit, Wärmehaushalt)
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Abhängigkeiten sichtbar machen (z. B. Thermik ↔ Lebensdauer)
Detaillierung & Verifikation
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Kopplungen (Struktur/Thermik/Fluid) auf Grenzfälle prüfen
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Simulationsergebnisse mit Referenzfällen abgleichen
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Änderungsmanagement über Anforderungen ↔ Modell ↔ Test steuern
Prozess- & Produktionsplanung
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Materialfluss, Puffer, Taktfolgen und Layout variantenreich simulieren
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Steuerungslogik für virtuelle Inbetriebnahme vorbereiten
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Ramp-up-Szenarien durchspielen und Risiken abfedern
Betrieb & Service
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Performance-Zwilling mit Felddaten füttern
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Zustandsprognosen und Service-Fenster ableiten
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Rückkopplung in Design und Produktion etablieren
Vorgehensmodell: In 90 Tagen zum ersten Digital Twin
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Woche 1–2 – Use-Case definieren
Ziele, KPIs und Scope festlegen (z. B. Rüstzeit-Reduktion, Energieeffizienz, Durchsatz). Datenquellen, Sensorik und Sicherheitsmodell klären.
2
Woche 3–4 – Architektur & Tools aufsetzen
Zwillingstyp(en) wählen (Produkt/Produktion/Performance), Datenpfade skizzieren, Modellierungsplan und Verantwortlichkeiten festlegen.
3
Woche 5–8 – Modellierung & Simulation
Domänenmodelle aufbauen, Szenarien fahren, erste Validierungen gegen Messwerte durchführen, Reporting-Templates erstellen.
4
Woche 9–10 – Feldkopplung
Live-Daten integrieren, Abweichungen kalibrieren, Frühwarnregeln definieren (z. B. Grenzwerte, Trends, Residuen).
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Woche 11–12 – Industrialize
Versionierung, Rollen, Prozesse und Dashboards finalisieren; Lessons Learned in Templates überführen; Rollout-Fahrplan beschließen.

Governance: Qualität, Sicherheit, Nachvollziehbarkeit
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Traceability: Anforderungen ↔ Modelle ↔ Ergebnisse müssen durchgängig verknüpft und versioniert sein.
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Validierung: Jedes Modell erhält Referenzfälle und Akzeptanzkriterien; regelmäßige Plausibilitätschecks halten den Zwilling verlässlich.
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Security by Design: Rollenbasierte Zugriffe, Segmentierung und Zertifikatsmanagement sind Pflicht – insbesondere bei standortübergreifenden Zwillingen.
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Kompatibilität: Namens- und Versionskonventionen, Schnittstellenstandards und Regressionstests sichern die Zusammenarbeit verschiedener Teams und Systeme.
KPIs für Digitale Zwillinge als Innovationstreiber
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Time-to-Decision (Zeit bis zur belastbaren Entscheidung)
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First-Pass-Yield (Erstfreigaben ohne Nacharbeit)
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Iterationen bis Freigabe (digital vs. physisch)
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Durchsatz / OEE in der Produktion
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Prototypenreduktion (Stück & Kosten)
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Anlaufkurve (Zeit bis Nennleistung)
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Stillstandsminuten je Monat und Mean Time Between Failures
Diese Kennzahlen verknüpfen den Digital Twin direkt mit Geschäftszielen und machen Fortschritt messbar.
Häufige Stolpersteine – und wie Sie sie vermeiden
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„Schöner Zwilling ohne Daten“: Ohne verlässliche Zeitreihen und Kontextdaten verpufft der Nutzen. Datenpipeline zuerst planen.
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Silo-Zwillinge: Produkt-, Produktions- und Performance-Zwillinge müssen durchgängig verknüpft sein, sonst fehlen Rückkopplungen.
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Security später gedacht: Zugriffsrechte, Zertifikate und Versionierung gehören an den Anfang – nicht in die Nachbesserung.
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Kein Business-Fit: Der Use-Case braucht klare KPIs; sonst wird der Zwilling zur Demo statt zum Werttreiber.
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Fehlende Umsetzung: Ergebnisse müssen in Layout, Arbeitspläne und Serviceprozesse überführt werden – inklusive Verantwortlichkeiten.
Praxisnahe Umsetzung: Rollen, Prozesse, Werkzeuge
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Product Owner Digital Twin: verantwortet Zielbild, KPI und Roadmap.
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Domänenexpert:innen (Mechanik, Thermik, EM, Flow): modellieren und validieren die Simulation.
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Daten-/IT-Team: verantwortet Erfassung, Speicherung, Sicherung und Bereitstellung der Daten.
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Operations/Service: nutzt den Performance-Zwilling für Entscheidungen, Feedback fließt zurück ins Modell.
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Qualität/Compliance: stellt Nachweisführung und Auditfähigkeit sicher.
Prozessseitig bewährt sich ein zweigleisiger Ansatz: ein Exploration-Track für neue Modelle/Use-Cases und ein Industrialization-Track für die Überführung in den Standardbetrieb. So bleibt der Digitale Zwilling innovativ und gleichzeitig stabil.
Ausblick: Digitale Zwillinge systematisch skalieren
Wer Digitale Zwillinge mit Simulation konsequent etabliert, baut einen dauerhaften Vorsprung auf. Die Industrieprofitiert von schnelleren Zyklen, robusteren Prozessen und nachvollziehbaren Entscheidungen – quer über Design, Produktion und Betrieb. Der Schlüssel ist nicht ein einzelnes Tool, sondern die Kombination aus verlässlichen Modellen, einer sauberen Datenbasis und klarer Governance. Mit diesem Fundament wird der Digital Twin zum kontinuierlichen Innovationstreiber.
Themen
Digital Twin Datenplattform
Digitaler Zwilling Definition
Governance Industrie 4.0
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